Der Klimawandel setzt unseren Wäldern zu. Welche Bäume gedeihen in Zukunft, wenn es wärmer und trockener wird? Regionalförster Raphael Lüchinger beschäftigt sich schon länger mit dieser Frage. Er nimmt uns mit an einen Ort, der Antworten liefern soll
Hier soll also der Wald der Zukunft entstehen. Noch fällt es schwer, sich das vorzustellen. Die Sonne brennt auf die abgeholzte, leicht abfallende Fläche von der Grösse eines Fussballfeldes, links und rechts davon ist dichter Wald. In Reih und Glied stehen hier 864 kleine Bäumchen, kaum kniehoch, gepflanzt Mitte März dieses Jahres. Ein Zaun schützt den Baum-Kindergarten davor, vom Wild gefressen oder als Kratzbaum missbraucht zu werden.
«In 15 Jahren werde ich pensioniert, dann stehen wir hier in einem Wäldchen», blickt Raphael Lüchinger voraus: «Rund zehn Meter hoch werden die Bäume dann sein.» Wenn der Regionalförster der Waldregion 1 St.Gallen über das Projekt «Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten» erzählt, merkt man, dass er das nicht zum ersten Mal macht. Das Interesse ist gross. Er stand schon mit Medienschaffenden, mit der St.Galler Wildhut sowie mit Waldeigentümerinnen und Waldeigentümern auf dem Versuchsgelände auf dem Hohfirst, der zur Gemeinde Gaiserwald gehört.
Suche nach den richtigen Bäumen
Die Testpflanzung am Hohfirst ist Teil eines nationalen Projektes der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). «Der Wald ist zwar durchaus fähig, sich an Veränderungen anzupassen, kann aber bei der aktuellen Geschwindigkeit des Klimawandels nicht mithalten», sagt Lüchinger. Jede Baumart habe ihr Optimum, was Feuchtigkeit und Bodenbeschaffenheit angeht. Viele Arten fallen aus ihrem «Komfortbereich», wenn es häufiger und längere Trockenperioden gibt. «Doch der Baum kann dann nicht einfach davonlaufen, an einen Ort, wo es ihm besser gefällt», sagt Lüchinger. Die Herausforderung bei der Auswahl der Bäume bestehe darin, in langen Zeiträumen zu denken. Im Wirtschaftswald geht man von einer Umtriebszeit, der Zeit vom Bäumchen bis zur Ernte, von 100 bis 120 Jahren aus. Ein heute gepflanzter Baum muss sich auch noch im Klima vom Beginn des 22. Jahrhunderts wohl fühlen.
Im Projekt testen die Forscherinnen und Forscher des WSL auch ausländische Baumarten, die bereits an wärmeres und trockeneres Klima angepasst sind. Für Raphael Lüchinger können diese sogenannten Gastbaumarten, wie beispielsweise die Douglasie, aber höchstens ein Teil der Lösung sein. Man wisse noch zu wenig genau, wie gut sich die fremden Bäume ins Ökosystem einbetten. Ausserdem vermehren sie sich häufig nur ungenügend von selber in der sogenannten Naturverjüngung. Man müsste sie grösstenteils künstlich einbringen, was viel Geld kostet. «Den Klimawandel müssen wir mit einheimischen Baumarten schaffen.», ist der Regionalförster überzeugt. Er plädiert für Diversität in den Wäldern, für ein Zusammenleben von Baumarten mit unterschiedlichen Eigenschaften. So verteilt sich auch das Risiko: Fällt eine Baumart aufgrund von Umweltbedingungen aus, können andere nachziehen.
Eiche könnte Fichte ablösen
Lange Zeit galt die Fichte als «Brotbaum» für die Waldbesitzer. Obwohl sie natürlicherweise eher in höheren Lagen vorkommen würde, wächst sie auch im Mittelland schnell und gerade. Somit sei sie ideal für die Holzwirtschaft, die sich aktuell immer noch stark auf die Verarbeitung von Nadelholz ausrichte. Allerdings kann die Fichte schlecht mit Trockenheit umgehen und ist dadurch nur beschränkt zukunftstauglich. Zudem macht ihr der Borkenkäfer zu schaffen, und mit ihrem flachen Wurzelsystem kann sie Stürmen nur schwer standhalten.
«Das hier ist unser Zukunftsbaum», sagt Raphael Lüchinger und zeigt auf eine kleine Eiche, die sich gegen wuchernde Adlerfarne und Brombeeren durchzusetzen versucht. Auf der Testfläche wird immer wieder gemäht, damit die Setzlinge diesen Kampf gewinnen. Die Eiche verträgt die zukünftigen Klimabedingungen gut, ist ökologisch wertvoll und liefert gutes Holz. Allerdings verliert sie erst sehr spät ihr Laub. Kommt später Schnee im Frühling, bietet sie dadurch viel Auflagefläche und läuft Gefahr, dass ihre Äste oder die ganze Stammachse durch das Gewicht beschädigt werden. Möglicherweise herrschen also für einige Baumarten, die wir in 50 Jahren bräuchten, im Moment noch keine optimalen Aufwuchsbedingungen.
Die Eiche ist einer der Lieblingsbäume von Raphael Lüchinger. Allzu oft sieht er sie allerdings nicht aus der Nähe, seine Arbeitstage verbringt der 49-jährige grösstenteils am Schreibtisch. «Natürlich wäre ich gerne ein bisschen mehr draussen, aber auch meine Aufgaben im Büro sind vielseitig», sagt der gebürtige Rheintaler, der heute in der Stadt St.Gallen lebt. Neben der strategischen Planung für seine Waldregion, der Personalführung, der Umsetzung des Waldgesetzes und der Öffentlichkeitsarbeit gehört auch die finanzielle Steuerung zum Pflichtenheft eines Regionalförsters. Für Lüchinger, der nach seinem Studium als Forstingenieur noch einen Master in Betriebswirtschaft gemacht hat, ist dies eine der spannendsten Aufgaben: Wie kann man den Wald ökonomisch bewirtschaften, sodass er trotzdem alle Waldfunktionen erfüllen kann?
Den Klimawandel, ist Raphael Lüchinger überzeugt, würde der Wald auch ohne menschliche Hilfe irgendwie überleben. «Doch wenn wir wollen, dass er weiterhin die gewohnten Funktionen für unsere Gesellschaft erfüllt, müssen wir ihn dabei aktiv begleiten und den Waldumbau beschleunigen.» Das koste zwar Geld, sei aber immer noch viel billiger, als wenn beispielsweise Schutzwälder durch Lawinen- oder Steinschlagverbauungen ersetzt werden müssten. Wichtig sei, dass man auch die Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer mit im Boot habe. Sie sind letztendlich diejenigen, die bestimmen, was auf ihrem Boden geschieht. Raphael Lüchinger zeigt sich optimistisch: «Wenn alle an einem Strang ziehen, kriegen wir das hin mit dem Waldumbau.»
Info-Box:
Auf schweizweit 59 Testflächen will die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) insgesamt über 55'000 Bäumchen pflanzen und sie über mehrere Jahrzehnte beobachten. Im Kanton St.Gallen gibt es neben dem Areal auf dem Hohfirst noch welche in Uznach, Quarten und Amden. Ziel des Projekts ist, Baumarten zu finden, die auch in einem zukünftig wärmeren und trockeneren Klima gedeihen.